
Malorie Blackman – Himmel und Hölle

Die Bücher vom Schweizer Bilger-Verlag haben mich bisher optisch immer sehr angesprochen. Aber das war es auch schon. Die Lust, eines auch wirklich mal zu lesen, war nicht da. Die Geschichten interessierten mich einfach nicht. Bis eine Bibliothekarin mir in den höchsten Tönen von „Fremde Signale“ vorschwärmte. Also gut, dann nehme ich es eben mit. Mal etwas reinblättern kann ja nicht schaden. Zur Inhaltsbeschreibung geht es hier lang.
Melancholisch und gleichzeitig aufregend schreibt Katharina Faber von drei Schutzengeln und ihrem Schützling. Wie sie ihre Schutzbefohlene begleiten, unauffällig beschützen, ihr Gutes tun. Und während die einzelnen Stimmen der drei Engel erzählen, kommen wir auch ihnen näher. Ihrem Leben und ihrem Tod. Ihren Wünschen und Träumen.
„Was wir übermitteln, kommt nicht aus einem Alphabet. Unsere Zeichen gleichen in nichts den Zeichen einer Sprache. Und wenn wir uns an Menschen wenden mit unseren Signalen, so sind es für sie: fremde Signale. Herausgelöst aus dem Zeichennetz der Sprache. In ihre Menschentaubheit hinein. Schicken wir unsere Signale.“
Wer jetzt zwischen diesen Buchdeckeln esoterisches Gesülze vermuten sollte, liegt übrigens völlig falsch.
Fazit: Das ist es wohl, was man Erzählkunst nennt. Aussergewöhnlich, warmherzig, ganz gross. Ja, man sollte auf Bibliothekarinnen hören…
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Den Anfang macht „Die Zwölf“ von Justin Cronin. Um ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, um was es bei Cronin’s epischer Trilogie geht, empfiehlt sich ein Blick auf die Besprechung des ersten Bandes „Der Übergang“.
Alles beginnt im Jahre Null. Die Anlehnung an die Bibel ist offensichtlich. Mehr zu Autor und Inhalt gibt es auf der Verlagswebsite. Eine Warnung vorweg: Dieses Buch ist nichts zum nebenher lesen. Umfang und Anzahl der Protagonisten sowie die häufigen Zeitsprünge erfordern einige Konzentration. Wer diese aufbringt, kriegt ordentlich etwas geboten. So verwirrend die Geschichte stellenweise ist, so gekonnt hält Cronin seine Leserschaft bei der Stange. Nun ja, wer bleibt schon gern im Nebel hängen…. Das, gepaart mit dem Mix aus Fantasy und durchaus auch ein wenig Horror liest sich grossartig.
Fazit: Grandios! Möge Justin Cronin sich mit dem dritten und letzten Teil etwas beeilen.
Die zehnjährige Judith ist ein einsames Kind. Sie lebt alleine mit ihrem streng religiösen Vater. Judith’s Mutter starb bei ihrer Geburt. Auch wenn es nicht explizit erwähnt wird, ist bald ersichtlich, dass die Geschichte im Umfeld der Zeugen Jehovas spielt. Die Mission ihres Vaters ist klar: Die Menschheit vor dem drohenden Weltuntergang zu bekehren. Dass Judith in der Schule eine Aussenseiterin ist, wundert nicht. Sie wird gemobbt und ist mit ihren Sorgen vollkommen allein. Um dem öden Alltag zu entfliehen, bastelt sich Judith in ihrem Zimmer aus Fundstücken sehr fantasievoll eine eigene kleine Welt und nennt sie das Land der Zierde.
„Vom Glauben verstehe ich etwas. Die Welt in meinem Zimmer ist daraus gemacht. Aus Glauben habe ich die Wolken genäht. Aus Glauben habe ich den Mond und die Sterne ausgeschnitten. Mit Glauben habe ich alles zusammengeklebt und zum Leben erweckt. Weil der Glaube wie Fantasie ist. Er sieht etwas, wo nichts ist, er macht einen Sprung, und plötzlich fliegt man.“
Als ein Mitschüler sie am Freitag so sehr bedroht, dass sie panische Angst davor hat, am Montag zur Schule zu gehen, passiert etwas Unglaubliches. Sie betet um Schnee; viel Schnee. So viel, dass am Montag die Schule ausfällt. Um ihren sehnlichsten Wunsch zu visualisieren, lässt sie es auf ihre Fantasiewelt schneien.
Kurz darauf fällt Schnee und das in solchen Mengen, dass das normale Leben erst einmal still steht. Judith ist überzeugt davon, dass sie selbst es war, die es hat schneien lassen. Scheinbar hat sie die Büchse der Pandora geöffnet denn von da an lässt sie immer wieder Dinge geschehen. Allmachtsgefühle entwickeln sich. Das ist beängstigend und faszinierend zugleich. Wem soll sie davon erzählen, wo doch niemand da ist, der ihr zuhört? Wer würde ihr glauben?
Die Autorin lässt einen sehr rasch Zugang finden zu diesem besonderen Kind, das versucht, seine Schwierigkeiten alleine zu bewältigen. Ihr Glaube wirkt unerschütterlich. Die Geschichte entwickelt einen Sog, der das Buch nur schwer weglegen lässt. Unhörbar scheint im Hintergrund eine Bombe zu ticken. Äusserst spannend. Die erwartete Explosion tritt aber nicht ein. Das ist es auch, was ich am Ende des Buchs bemängle. Die Autorin hat in diesem Punkt meiner Meinung nach die Kurve zu einem stimmigen Ende nicht gekriegt. Das letzte Drittel der Geschichte hat mich regelrecht gelangweilt. Das allerdings wird mich nicht davon abhalten, die Autorin im Auge zu behalten. Denn ihre plastische Erzählweise macht Lust auf mehr. Grace McCleen’s zweiter Roman ist in Arbeit. Ich werde ihn bestimmt lesen.
Fazit: Anfangs sehr poetisch und spannend, gegen Ende aber leider ziemlich langweilig.
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Fast hätte ich es ungelesen in die Bücherei zurückgebracht. Denn die ersten fünfzig Seiten dieses historischen Romans über die Henker-Dynastie Sanson waren zäh. Nicht eben wegen des unschönen Themas an sich sondern wegen des Schreibstils. Die Sprache wirkte auf mich allzu hölzern. Also Buch einpacken und zurück in die Bücherei damit; das war zumindest der Plan. Hätte ich auf dem Weg dorthin nicht mangels Alternative noch ein wenig weitergelesen. Und wider Erwarten wurde die Sache wahnsinnig interessant. Das Buch wollte unbedingt fertig gelesen werden.
Claude Cueni’s Roman handelt von einem Mann, der aufgrund seiner Herkunft dazu verdammt ist, Henker zu werden. Der Beruf des Henkers wird von Vater zum Sohn weitergegeben; so war das schon immer und da interessiert nicht, dass Charles-Henri Sanson sich zum Arzt berufen fühlt. Es gibt kein Entrinnen. Weder für ihn noch für seinen Erstgeborenen. Alleine während dieser Revolution richtet Sanson unter anderem mit Hilfe der eiligst erfundenen Guillotine rund dreitausend Menschen hin. Das Volk ist in einem wahren Blutrausch und Sanson muss als sogenannter „Monsieur de Paris“ richten. Wer nun glaubt, dass es sich hier einfach um einen gruseligen Roman handelt, täuscht sich. Claude Cueni hat gründlich recherchiert. Die Sanson-Henkersdynastie gab es tatsächlich. Und Charles-Henri Sanson war der letzte grosse Henker von Paris. Wer eine Vorstellung davon bekommen will, wie er gelebt hat, dem sei dass vorliegende Buch ausdrücklich empfohlen.
Fazit: Interessantes Buch rund um ein wirklich grausiges Thema.
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„Wir müssen nur den Mund halten und ruhig zuhören – und siehe da, schon ordnet uns die Welt unsere Gedanken…“
Manche Filme locken mit wirklich fantastischen Trailern. Allerdings locken sie mich weniger ins Kino als in die Lieblingsbuchhandlung oder – wie hier geschehen – in die kleine aber feine Bücherei um die Ecke. Denn was auf der Leinwand spektakulär sein soll, ist zwischen den Buchdeckeln bekanntlich noch wesentlich spektakulärer; meistens jedenfalls. Und so habe ich mich auf die Reise ins Unbekannte gemacht, mich auf David Mitchell’s kunstvoll gewobenen Sprachteppich gesetzt und bin losgeflogen. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis hin in die ferne Zukunft. 668 Seiten lang und stellenweise ganz schön turbulent war meine Reise mit dem Wolkenatlas. Statt einer eingehender Besprechung zu diesem Erlebnis, verweise ich an dieser Stelle an die grossartige Gemeinschaftsrezension auf Bri’s Literatouren. Aber Vorsicht; die Begeisterung ist ansteckend. Am besten die Besprechung nicht Sonntags lesen, denn dann ist Ruhetag bei den Buchhandlungen und die Zeit bis zum Montag dürfte sich zähflüssig gestalten.
Ich für meinen Teil werde mir demnächst die Verfilmung zu Gemüte führen. Denn das muss dann doch noch sein. Der Trailer ist einfach zu gut…
Fazit: Mehr als ein Buch. Im Wolkenatlas steckt ein ganzes Universum!
Weitere Infos zu diesem Titel gibt es hier.
Mit diesem zweiteiligen Werk habe ich einen ersten Ausflug in die Welt des SciFi gewagt und damit gleich einen Volltreffer gelandet. Karsten Kruschel hat mich in fremde Welten entführt und mit seiner bildhaften Sprache mitten auf dem Regenplaneten abgesetzt. Mehr kann man sich von einem Buch nicht wünschen.
„Vilm – der Regenplanet“
Die Menschheit beschränkt sich nicht mehr nur auf den Planeten Erde. Inzwischen reisen sie mit Hilfe von Sternenschiffen und siedeln sich auf verschiedensten Planeten an. Einer dieser Schiffe ist die „Vilm van der Oosterbrijk“. An Bord herrscht eine Zweiklassengesellschaft. Die normalen Passagiere und die abgehobenen Zentralier. Nur letztere wissen, wie das Schiff zu bedienen ist. Bis zum Tag X, an dem die „Vilm van Oosterbrijk“ verrückt spielt und auf den nächstgelegenen Planeten stürzt. Es sind nur wenige Menschen, die den Absturz überleben. Sie landen in einer seltsamen dauerverregneten Welt. Die Hoffnung auf Rettung schwindet bald, also wird höchst kreativ versucht, aus den Trümmern des Schiffs Brauchbares für das Leben im Regen zu finden. Es bleibt nichts anderes, als sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Der Regenplanet mit seiner eigentümlichen Flora und Fauna ist nun mal ihr neues Zuhause. Unter den Gestrandeten befinden sich auch Kinder. Dass eines nach dem anderen von einer Art Diphterie befallen wird, sorgt für Angst und Schrecken. Die medizinische Versorgung auf dem Regenplaneten ist recht begrenzt. Aber die Kinder überleben nicht nur sondern sie verändern sich. Es entstehen symbiotische Beziehungen mit den sogenannten Eingesichtern. Eine Evolution im Schnelltempo in einem eigentümlichen Ökosystem, das beim Lesen fast körperlich spürbar ist. In „Vilm – der Regenplanet“ werden die Schweinwerfer kapitelweise auf einzelne Protagonisten gerichtet. Mit dieser Erzählweise schafft es Karsten Kruschel, dass die Leserschaft den Personen recht nah auf den Pelz rückt.
„Vilm – Die Eingeborenen“
Zwanzig Jahre nach der Bruchlandung auf dem Regenplaneten werden die Schiffbrüchigen entdeckt. Aber nicht alle wollen gerettet werden. Nur wenige nehmen das Angebot des Rettungsschiffs, Armorica, den Regenplaneten zu verlassen, an. Im Gegenteil; die Eingeborenen fordern höchst selbstbewusst, dass ihr Planet vom Planetenverband als eigenständig anerkannt und respektiert wird. Aber unbekannte Welten haben die Mächtigen schon immer fasziniert und Begehrlichkeiten geweckt. Und wer sagt denn, dass die Vilmer mit ihrem eigentümlichen Verhalten überhaupt als menschlich zu bezeichnen sind….
Fazit: Faszinierend. Absolute Leseempfehlung auch für Sci-Fi-Neulinge. Ich werde dann mal die Suchscheinwerfer nach weiteren Sci-Fi-Perlen auswerfen. Anregungen sind ausdrücklich erwünscht.
Die beiden Werke gibt es sowohl gedruckt als auch als eBook. Ich persönlich habe die eBooks verschlungen.
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Mit 1150 Seiten ist Edward Rutherfurd‘s Reise durch 400 Jahre New Yorker Geschichte ein echter Wälzer. Von der Mitte des 17. bis ins 21. Jahrhundert begleiten wir vier Einwandererfamilien. Sie stammen aus Holland, Deutschland, Italien und England und suchen alle auf die eine oder andere Art ihr Glück. Rutherfurd lässt uns tief eintauchen in die jeweiligen Familiengeschichten; Wer Familienromane mag, kommt hier voll auf seine Kosten.
Zwischen diesen Buchdeckeln findet sich vieles, was man schon über die Ereignisse in diesen vier Jahrhunderten gehört oder gelesen hat.. Ob Sklaverei, Bürgerkrieg, Prohibition mit ihren Flüsterkneipen, Rassenunruhen, Korruption oder Little Italy. All das und vieles mehr kommt zur Sprache. Persönlichkeiten wie der grosse Caruso, George Washington, Abraham Lincoln, Theodore Roosevelt. Multimillionär John Jacob Astor und der legendäre Bankier J.P. Morgan werden auf solch lebendige Art porträtiert, dass man sie förmlich vor sich sieht. Das gilt übrigens auch für die vier fiktiven Einwandererfamilien mit ihren zahlreichen Nachkommen.
Schon die ersten Seiten haben die Filmspule zum Kopfkino der allerfeinsten Sorte anlaufen lassen. Auf wundersame Weise wurde ich ins 17. Jahrhundert reingezogen um 1150 Seiten später im 21. Jahrhundert wieder ausgespuckt zu werden. „Im Rausch der Freiheit“ ermöglicht mit seinem Mix aus Geschichtsbuch und Roman einen echten Lese-Rausch. Wer dieses Buch wie ich in mehreren grossen Happen verschlingt, wird das fehlende Personenverzeichnis kaum vermissen.
Ich werde mich künftig auf jeden Fall an die Fersen von Edward Rutherfurd heften. Wer so schreibt, den behalte ich im Auge.
Fazit: Mitreissend und ausserordentlich interessant. Absolute Leseempfehlung!
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